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Die Sache mit dem Expertentum

Auslöser waren immer Tipps von Kollegen, Netzwerkpartnern oder mir selbst, die ich als Ressourcen empfohlen hatte. Vielleicht ist es typisch deutsch – zumindest habe ich es bisher nur im deutschsprachigen Raum so stark erlebt – dass es vielen schwer fällt, Tipps von anderen zu akzeptieren und anderen Erfolg zu gönnen.
Da mich dieses Thema seit Monaten nervt, gibt es heute meinen Kommentar zum Expertentum.
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Experte – was heißt das und was wurde daraus?
Von der reinen Wortbedeutung her ist Experte ein positiver Begriff. Die Wikipedia definiert ihn so:
Ein Experte… ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Neben dem theoretischen Wissen kann eine kompetente Anwendung desselben, also praktisches Handlungswissen, für einen Experten kennzeichnend sein.
Es geht im Grunde also nur darum, dass sich eine Person gut in einem Thema auskennt. Praktisches Wissen kann, muss aber nicht Teil des Expertenstatus sein. Doch diese ursprüngliche Bedeutung wird heute, aus meiner Sicht, stark verzerrt.
Mit dem Begriff Experte werden viel zu oft ein allgemeingültiger Anspruch auf Richtigkeit und Deutungshoheit zu bestimmten Themen assoziiert. So mancher selbsternannte Experte schart Fans und Anhänger um sich, die jede Kritik an seinen Aussagen als Angriff werten.
Dazu kommt ein inflationärer Gebrauch des Begriffs. Nicht nur aber auch in der Kommunikations- und Marketingfilterblase wimmelt es von Webseiten, auf denen sich Menschen selbst als Experten bezeichnen. Manchmal ist das berechtigt, manchmal nicht.
Daher habe ich persönlich auch ein Problem damit, wenn Menschen sich selbst als Experten definieren. Es gibt Ausnahmen, doch in der Regel bin ich skeptisch, wenn sich Menschen mit „Experte für…“ vorstellen. Wenn andere eine Person aufgrund ihrer Leistung und/oder ihres Wissens als Experte bezeichnen, ist das aus meiner Sicht völlig okay.
Muss man immer gleich Experte sein?
Wie eingangs erwähnt wird oft gefragt, „mit welchem Recht“ sich eine Person als Experte bezeichnet. Auf Nachfrage zeigt sich jedoch in vielen Fällen: Das tun die Betreffenden gar nicht. Sie teilen nur ihre Erfahrung, geben Tipps, helfen Menschen mit ihrem Wissen und ihrem Können weiter.
Sicher kann man individuell daran zweifeln, ob die Tipps fundiert sind. Sicher gibt es Personen, mit deren Stil man nicht klar kommt oder von denen man – aus verschiedensten Gründen – keine Ratschläge und Informationen annehmen will.
Aus meiner Sicht ist die einzig sinnvolle Reaktion dann jedoch: Schau dir das nicht an, abonnier sie nicht, lies nicht bei ihnen mit. Niemand ist dir zur Rechenschaft verpflichtet. Wenn du an der Qualität von Inhalten zweifelt, lies einfach woanders mit. Blogs und Soziale Netzwerke halten zu jedem Thema dutzende, wenn nicht gar hunderte verschiedene Varianten der gleichen Tipps bereit.
Zu jedem Thema gibt es verschiedene Blogs und Kanäle, nicht alle müssen dir gefallen. Wichtig ist schlussendlich doch nur, dass du die für dich passende Person findest, die dir wirklich etwas gibt.
Wenn du an der Expertise bestimmter Tippgeber zweifelst, lass einfach die Zeit entscheiden. Wenn sie schlechte Inhalte verbreiten und ihre Tipps schaden oder niemand weiterhelfen, werden sie damit keinen Erfolg haben. Wenn ihre Tipps anderen etwas bringen, werden sie vorankommen – auch wenn sie dir nichts geben.
Mir persönlich ist es herzlich egal, ob jemand Experte für irgendein Thema ist oder nicht. Wenn seine oder ihre Informationen mich weiterbringen und ich mit seinem oder ihrem Stil etwas anfangen kann, nutze ich die Inhalte und empfehle sie weiter. Wenn sie für mich nicht passen, suche ich weiter.
Ich verstehe allerdings nicht, warum man Menschen, deren Art oder Tipps einem selbst nichts geben, unbedingt schaden und sie runter machen will. Das geht über mein Verständnis.
Echtes Expertentum spricht für sich
Schlussendlich läuft es aus meiner Sicht auf eine einfache Tatsache hinaus: Echtes Expertentum spricht mit der Zeit für sich selbst. Wer gute Inhalte bereitstellt – und die ordentlich verteilt und sein oder ihr Netzwerk erweitert – wird damit Menschen weiterhelfen und relevante Reichweite aufbauen.
Wer die Arbeit anderer schlecht findet und ihnen den Expertenstatus partout nicht zugestehen will, hat eine einfache Möglichkeit: Macht es besser. Stellt selbst bessere Inhalte bereit, zeigt, dass ihr es besser könnt.
Wenn wir alle – und ja, ich verallgemeinere bewusst – akzeptieren, dass es ganz verschiedene Ansätze, Strategien und Wege gibt, um Netzwerke, Kommunikationskanäle, Tools und viel mehr zu nutzen, profitieren alle davon. Nur weil etwas mir persönlich nicht passt, ist es noch lange nicht schlecht. Für diese Erkenntnis habe ich, auch wenn das blöd klingen mag, eine ganze Weile gebraucht. Doch inzwischen sehe ich die Vielfalt in den sozialen Netzwerken und Blogs als eine der größten Stärken überhaupt an.
Der geschätzte Kollege Stefan Evertz hat es heute morgen auf Facebook schön gesagt:
Merke immer mehr, dass die Aussage „Da hat jemand den Text (oder das Internet) nicht verstanden“ mehr über den Sprecher als den Angesprochenen sagt.
P.S.: Zugegeben, es ist eine Mischung aus Kommentar und Rant geworden und richtet sich auch an die allgegenwärtigen Hater. Das Thema brodelte schon lange und musste mal raus. Lasst uns konstruktiv und wertschätzend miteinander umgehen und zusammenarbeiten. Das klappt nicht immer – ich spreche da auch aus eigenen Fehlern – doch den Versuch ist es wert.
Update:
Auf Facebook hat mich die geschätzte Kollegin Annette Schwindt an einen älteren Artikel von ihr erinnert, der perfekt zur Sache spricht: „Warum ich nicht gern Expertin genannt werde“
Kommentare zu diesem Artikel
Hallo Christian,
heute habe ich dein Blog wieder auserwählt, um hier etwas Feedback zu erzeugen. Also ich befasse mich mit solchen Themen wie Blogging, CMS, OpenSource und Tools, aber auch ich nach 10 Jahren Bloggerei nannte mich nie ein Experte. Es würde einfach nicht stimmen, denn auch ich mache Fehler, aus denen ich lernen möchte.
Es stimmt, dass ich etliche Erfahrungen vorweisen kann, was meine Themen anbelangt und eben auch praktisches Wissen, weil ich täglich mit meinen CMS herumwerkele. Wenn es zum Beispiel um die webentwicklungstechnische Seite geht, dann muss ich passen. Dieses Wissen bringe ich eher weniger mit. Dennoch informiere ich mich auf meinem Themengebiet wie ich kann und versuche das Wissen weiter anzuhäufen. Ich lerne nur aus meinen Erfahrungen heraus und sehe ein CMS zum Beispiel nur aus Anwendersicht, was ja bei jedem User sehr sehr unterschiedlich ist.
Das stimmt schon einmal, dass niemand eigene Inhalte gut finden muss. Aber wenn diese weitergeholfen haben, dann kann jemand gerne feedbacken. Mir hilft dieser Artikel, um über die Sache nachzudenken und zu hinterfragen, ob ich ein Experte bin.
Ich selbst schreibe nur zu den Themen, wo ich mich etwas auskenne. Alles andere kommt gar nicht in Frage, denn man muss sich schon etwas auskennen, damit das Bloggen auch nach 20 Jahren Spass macht und man auch selbst etwas glaubwürdig ist. So sehe ich das!
Online kenne ich so Leute, die sich „Perfect SEO“ oder „VCR Profi“ nennen. Ich finde solche Bezeichnungen immer sehr gewagt und kann eventuell bei den Kunden das Gefühl auslösen, das diese Leute arrogant und eingebildet wären. Nichts genaues weiß man. Ich würde mich selber nie Experte von irgendetwas nennen. Warum sollte ich das auch tun? Etwa um Respekt zu erhalten?