Inhalt
Google Glass und die Soziale Arbeit: Wie groß ist das Potenzial?
„30. April, 30. April da war da doch irgendwas?“ – Irgendwie ging mir dieser Gedanke vor und während der re:publica nicht mehr aus dem Kopf. Dann traf es mich wie ein Blitz: „Klar, die Blogparade von Gerhard Schröder zu Google Glass! Mist!“ Mmmmh, das offizielle Ende habe ich zwar verpasst, doch erstens habe ich Gerhard zugesagt, noch etwas zum Thema zum schreiben und zweitens fasziniert mich das Thema. Allerdings – und das dürfte Stammleser nicht überraschen – wähle ich einen etwas anderen Ansatz. Heute geht es um das Potenzial von Google Glass für… die Soziale Arbeit.Das klingt vielleicht etwas seltsam, doch bei genauerer Betrachtung kann sich Google Glass zu einem wichtigen Tool für Sozialarbeiter entwickeln oder doch zumindest den Weg bereiten. Stellt Euch Mitarbeiter des aufsuchenden Sozialdienstes der Familienberatung, des Jugend- oder Sozialamtes vor, die mit Google Glass ausgestattet ihre vor Ort Termine absolvieren.
Schon auf dem Weg vom Auto zur Wohnung des Klienten werden die wichtigsten Informationen aus der Akte eingeblendet, mit Augmented Reality Anwendungen werden Informationen über die Umgebung, die Bewohner, das soziale Milieu und ähnliches angezeigt. Das Gespräch wird aufgezeichnet, in unklaren Situationen steht im Nachhinein nicht Aussage gegen Aussage, stattdessen wird die Video-Aufzeichnung herangezogen. Notizen und Mitschnitte können direkt auf die Server des Trägers übermittelt werden. In kritischen Situationen können sofort Kollegen, Arzt oder Polizei verständigt werden. Das klingt toll… und irgendwie auch ein wenig beängstigend. Dennoch bin ich der Meinung: Die Google Brille ist der Wegbereiter einer neuen Arbeitsweise.
Google Glass – Kein praktikables Tool, aber wichtiger Vorreiter
Die Kollegen von The Verge zeigen im Video den – im Vergleich zum Hype und manch euphorischen Berichten – ernüchternden Stand von Google Glass. Für mich wird deutlich: Noch ist die Google Brille kein ausgereiftes oder praktikables Tool.
Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die Technik, sie gilt in noch viel stärkerem Umfang für die soziale und psychologische Akzeptanz der neuen Gerätekategorie. Und ja, ich spreche ganz bewusst von der neuen Kategorie des wearable computings. Google Glass ist – vor allem auch für den Einsatz in sensiblen Situationen – deutlich zu auffällig und löst zu viele Vorbehalte und spürbaren Widerstand aus.
Das konkrete Gerät ist daher aus meiner Sicht für die Soziale Arbeit nicht geeignet – und dennoch von enormer Bedeutung. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass die Soziale Arbeit Google Glass braucht. Was wie ein Widerspruch klingt, ist keiner. Denn Google Glass kann…
- … die notwendige Diskussion rund um Privatsphäre und allgegenwärtige Computer entfachen.
- … Menschen an wearable computing heranführen und die Hemmschwelle reduzieren.
- … das Potenzial und die Möglichkeiten solcher Gadgets verdeutlichen.
- … den Weg für weitere Geräte – Smartwatches und andere – bereiten.
- … die Toleranz und Akzeptanz für bestehende Technologien – wie beispielsweise Bodycams – erhöhen.
Der letzte Punkt ist für mich besonders wichtig. Bodycams werden in den USA und Großbritannien bereits erfolgreich von ein einigen Polizeieinheiten eingesetzt. Natürlich gibt es auch hier berechtigte Datenschutz- und Privatsphärebedenken, doch die Vorteile überwiegen aus meiner Sicht. Diese können auch Mitarbeitern der aufsuchenden Sozialarbeit zu Teil werden.
Nach wie vor gibt es viel zu oft die Situation, dass nach Auseinandersetzungen oder Konflikten vor Ort die Aussage des Klienten gegen die des Mitarbeiters steht. Mit einer Videoaufnahme der Situation könnten solche Konflikte effektiv verhindert und so die Sicherheit der Mitarbeiter und Klienten erhöht werden.
Das mag für Außenstehende weit hergeholt klingen, von Kollegen und Freunden, die im Sozialdienst arbeiten, weiß ich jedoch, dass dieses Problem in der Praxis definitiv eine wichtige Rolle spielt. Wie bereits angedeutet könnte wearable computing auf Dauer der Sozialen Arbeit noch viel mehr Vorteile bringen. Schnell verfügbare Informationen durch unauffällige Computer, der direkte Zugriff auf Akten und Umgebungsinformationen – all das kann in Gesprächen oder Konflikten wichtig und nützlich sein.
Google Glass – Der erste Schritt auf einem wichtigen Weg
Mir ist vollkommen bewusst, dass Google Glass und generell die Kategorie des wearable computings in Kombination mit einer ständigen Datenverbindung und umfassender Aufzeichnung zahlreiche Probleme mitbringen werden. Viele davon können wir – da bin ich mir sicher – heute noch gar nicht vorhersehen.
Dennoch überwiegen aus meiner Sicht die Vorteile und das Potenzial. Die Frage ist nur: Wie wird dieses Potenzial genutzt (werden)? Genau hier muss diskutiert, müssen Lösungen und Strategien erarbeitet werden – auch und besonders in der Sozialen Arbeit. Denn eines Tages werden auch die Klienten mit solch unauffälligen Computern und ständig aufzeichnenden Brillen in der Beratung auftauchen. Sich erst dann mit der neuen Technik zu beschäftigen, wird meiner Meinung nach viel zu spät sein.
Wearable computing ist aus meiner Sicht auf dem Vormarsch, die Technologien entstehen und werden kommen. Google Glass ist nur ein erster Schritt auf diesem Weg. Die Entwicklung kann vermutlich nicht mehr aufgehalten werden. Das wäre aus meiner persönlichen Sicht auch gar nicht wünschenswert.
Deshalb müssen wir, muss sich auch die Soziale Arbeit, damit auseinandersetzen. Denn diese Technologie wird den Alltag, die zwischenmenschliche Kommunikation und die Arbeit im Sozialbereich nachhaltig beeinflussen. Diese Entwicklung zu ignorieren, könnte daher einen extrem hohen Preis kosten und viel mehr Probleme aufwerfen, als eine aktive und konstruktive Diskussion.
Kommentare zu diesem Artikel
Hallo Christian,
Du bist nicht der einzige, der knapp den 1. Mai verpasste. Wenn auch nur um eine „0“ in der Zahl. 😉
Freue mich über Deine Gedanken zum Thema: Ich wollte ja so ein Rundes Bild zum Thema. Zusammenfassung erfolgt in den nächsten Tagen. Wenn Du magst… Ich habe eine neue Blog-Parade zum Thema „Soziales“:
#Glassiquette vs. #Glassholes
http://www.wewearsmartwear.de/2013/05/glassiquette-vs-glasshole-blog-parade-fur-den-google-glass-knigge/
Herzliche Grüße aus Essen,
Gerd
[…] Quelle: Christian […]
[…] der Google Brille enorm. Die Einsatzmöglichkeiten in der sozialen Arbeit habe ich bereits in einem eigenen Artikel beleuchtet. Durch einen Beitrag von Martin Wind in der Google+-Community „Bildung Online“ bin […]