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New Work – KEIN Mittel gegen den Fachkräftemangel!

New Work – inzwischen eines des am häufigsten missbrauchten Konzepte, das ich kenne. Das klingt hart, meine ich jedoch genau so. Da kam die Frage meines geschätzten Kollegen Hendrik Epe – seinen Tweet siehst du unten – gerade recht.
Huhu liebes Netzwerk! Time flies! Habt ihr noch Ideen, was in der Kombination aus den Möglichkeiten von #realnewwork und dem (angeblichen?) #Fachkräftemangel zu beachten ist? Dazu spreche ich Donnerstag in Münster ?Bin gespannt und danke schon für Eure Anregungen! #followerpower https://t.co/1F0CAU59ul
— Hendrik Epe ?? (@HendrikEpe) November 24, 2019
Meine Antwort war bewusst etwas provokativ und überspitzt formuliert – hey, es ist Twitter und ich schrieb vor dem ersten Kaffee – ist inhaltlich jedoch genau meine Meinung. Sie lautet:
New Work und #Fachkräftemangel in Vebindung zu bringen zeigt für mich ein falsches Verständnis von New Work.
Bevor ich voll einsteige zwei Hinweise: 1. Meine im Folgenden formulierte Kritik richtet sich nicht gegen Hendrik – ich schätze ihn als Kollegen sehr – oder gegen irgendeine Person konkret. Ich kritisiere den Umgang mit dem Konzept New Work und den aktuellen Status Quo in der (Sozial) Wirtschaft. 2. Wenn ich meine Kritik im Lauf des Textes drastisch formuliere tue ich das aus einem einzigen Grund: Ich bin der Überzeugung, dass nur deutliche Worte gehört werden. Diplomatisch haben es geschätzte Kolleginnen und Kollegen seit Jahren versucht. Solche Worte verhallen ungehört. Leider.
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Was ist New Work eigentlich?
Ich fange mal damit an, was New Work NICHT ist. New Work ist nicht Arbeit 4.0, nicht flexibles Arbeiten, nicht Remote Work oder all die anderen Buzzwords. Können Arbeit 4.0, Home Office und so weiter Teil von New Work sein? In der Praxis ja, das ist – je nach Branche – sogar wahrscheinlich. Doch New Work ist viel mehr als das!
Hendrik Epe bringt das in einem älteren Artikel gut auf den Punkt. Er zitiert Professor Frithjof Bergmann der das Konzept New Work entwickelt hat. Hendrik beschreibt es so:
Es geht – so der im folgenden erläuterte Gedankengang – von der Veränderung der Arbeitswelt hin zu einem neuen Gesellschaftsmodell, das unser bisher geltendes Lohnarbeitssystem infrage stellt. New Work betrifft jeden einzelnen Menschen, die Organisationen, in denen die Menschen arbeiten sowie – wie erwähnt – das Gesellschaftsmodell als Ganzes.
Das von Frithjof Bergmann entwickelte Konzept sieht, im Gegensatz zum heutigen Arbeitsmodell, drei Säulen vor:
- ein Drittel Erwerbsarbeit
- ein Drittel High-Tech-Self-Providing (Selbstversorgung)
- ein Drittel Arbeit mit Sinn, die man (das Individuum) wirklich machen will
Wo liegt also das Problem, New Work als Mittel gegen den Fachkräftemangel zu nutzen? Da aktuell alle Welt – vor allem Unternehmensberaterinnen und Kommunikatorinnen* – von Purpose, Sinn und Haltung für Unternehmen spricht, sollte New Work doch perfekt passen, oder? Nope, nicht mal ansatzweise.
Der geschätzte Kollege Hannes Jähnert hat auf die Frage von Hendrik Epe ebenfalls etwas ausführlicher reagiert. Sein Artikel endet mit einer Zusammenfassung, die ich 100-prozentig unterschreibe:
tl;dr: Man besinne sich auf die Werte, um die es wirklich wirklich geht. Dann klappt’s auch mit den Fachkräften.
Zu Beginn seines Artikels verweist Hannes übrigens auf Praxisbeispiele, bei denen eine Orientierung in Richtung New Work sogar zum Verlust von Fachkräften geführt hat. Das überrascht mich ehrlich gesagt nicht.
Der Grund: New Work ist KEINE Methode der Organisationsentwicklung! Die Ideen, Ansätze und Elemente des Konzepts können dafür genutzt werden, doch im Kern geht es nicht um die Organisation. Es geht um ein neues Verständnis der Arbeit als etwas, das – so Frithjof Bergman – den Menschen gut tut. Arbeit die den Menschen stärkt.
Schauen wir uns noch mal kurz die Arbeit im New-Work-Modell an: 1/2 Erwerbsarbeit, 1/3 Selbstversorgung, 1/3 Arbeit, die man wirklich machen will. So gut wie alle Unternehmen, die vorgeben New Work zu machen, haben damit exakt nichts am Hut!
Sie verändern die Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit durch Home Office, Remote Work, Vertrauensarbeitszeit (so sie denn ernst gemeint ist) und ähnliche Maßnahmen. Wenn wir ganz ehrlich sind, sind diese Maßnahmen bei viel zu vielen Organisationen – auch in der Sozialwirtschaft – a) kosmetischer Natur und dienen b) dazu, Mitarbeitende zu mehr Erwerbsarbeit zu motivieren/incentivieren.
Klar, viele Unternehmen versuchen jetzt auch, auf den Sinn ihres Tuns hinzuweisen. Doch da bin ich bei Stephan Grabmeier, der in seinem lesenswerten Buch „Future Business Kompass“ (Rezension kommt bald hier im Blog) darauf hinweist, dass sich erst noch zeigen muss, ob der Fokus auf Sinn oder neu-deutsch Purpose die nächste Konjunkturphase übersteht oder nur ein temporärer Trend ist.
Bei alldem fällt mir jedoch eines ins Auge: Die heutigen Organisationen befassen sich – zumindest die Masse, es gibt rühmliche Ausnahmen – nur mit einem Drittel des New-Work-Arbeitsmodells, eben der Erwerbsarbeit. Klar, ist ja auch ihre Baustelle, oder? Ich sage nein, das ist kurzsichtig, mittel- und langfristig falsch und macht New Work zu einem inhaltsleeren Buzzword.
Wenn wir New Work ernst meinen, der Hashtag #RealNewWork eine Bedeutung bekommen soll, dann müssen Organisationen und Unternehmen sich mit ALLEN DREI Bereichen der Arbeit befassen. Das bedeutet nicht, dass sich Arbeitgeber ins Privatleben ihrer Mitarbeitenden einmischen sollen. Doch es bedeutet, dass sie Rahmenbedingungen schaffen müssen, die Selbstversorgung und Arbeit, die Menschen wirklich wollen, möglich machen.
Unternehmen wie Ecosia, die ihren Mitarbeitenden freigeben, um an Demos teilzunehmen oder die Upstalsboom Hotels, die ihren Mitarbeitenden Zeit für Ehrenamt einräumen (tut Microsoft beispielsweise auch), zeigen erste Ansätze, wie eine Unterstützung des New-Work-Modells durch Unternehmen und Organisationen aussehen kann. Solche Maßnahmen sagen isoliert betrachtet übrigens nichts über den Sinn und die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens aus. Auch Springer gab seinen Mitarbeitenden für Klimademos frei.
Der Twist: Erbwerbsarbeit und Arbeit, die man wirklich machen möchte, können identisch sein, müssen sie aber nicht!
Warum New Work kein Mittel gegen Fachkräftemangel ist
Nach all dieser Kritik und Erklärung habe ich meine Eingangsthese – das New Work kein Mittel gegen den (angeblichen) Fachkräftemangel ist – noch nicht konkret belegt oder zumindest argumentiert. Daher tue ich das jetzt. (Danke wenn du bisher alles gelesen und durchgehalten hast, Respekt.)
Können Veränderungen, die durch eine Orientierung an New-Work-Prinzipien in Unternehmen und Organisationen entstehen, Fachkräfte anziehen und zu einer attraktiven Arbeitgebermarke führen? Klar, warum sollten sie nicht?
Doch New Work an sich hat nichts mit Fachkräftegewinnung zu tun. Dafür habe ich drei Argumente:
- New Work ist für viele Fachkräfte schlicht kein Thema, die aktuell missbräuchlich propagierte Schmalspur-Variante schon gar nicht. Das bringt auch der bereits erwähnte Hannes Jähnert auf den Punkt: „Ich wage zu bezweifeln, dass der Wert der New Work in Pflege oder Kita bei jenen, die vor der Entscheidung stehen, in das System einzusteigen, einen sonderlich großen Unterschied macht.“ Das bezweifle ich auch – übrigens auch für die Wirtschaft, wenn auch aus anderen Gründen.
- Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Sinnstiftende und als wertvoll empfundene Arbeit muss nicht mit Erwerbsarbeit identisch sein. Sie wird heute sogar von vielen Fachkräften explizit getrennt von der Erwerbsarbeit gesehen. Das zeigt auch Andreas Zeuch in seiner Analyse einer aktuellen Studie drüben bei den Unternehmensdemokraten.
- Die meisten Organisationen wollen die Erwerbsarbeit attraktiver machen. Sie wollen keine echte Veränderung im Sinne von New Work, denn das würde bedeuten, dass die Erwerbsarbeit einen insgesamt geringeren Stellenwert einnimmt oder einnehmen kann. New Work macht die Erwerbsarbeit nicht automatisch attraktiver.
Wer Frithjof Bergmanns Arbeit kennt, kann mir jetzt zurecht vorwerfen, dass ich seine Hinweise, wie die Erwerbsarbeit in Zukunft aussehen soll – selbst organisiert, freier, flexibler – hier im Text beiseite gelassen habe. Der Vorwurf ist berechtigt, ändert jedoch nichts an meiner Grundthese.
Wirklich gelebte oder genauer gesagt von Unternehmen und Organisationen unterstütze New Work kann eine Organisation potenziell für Fachkräfte attraktiver machen, daran zweifle ich nicht. Doch wer New Work als Instrument des Personal Marketings oder Employer Brandings nutzen will und die Einführung von New Work – allein diese Formulierung ist schon falsch – als Mittel sieht, um Fachkräfte anzuziehen, hat New Work aus meiner Sicht nicht verstanden.
Denn erstens können Organisationen und Unternehmen das New-Work-Modell nur unterstützen und nicht einführen oder umsetzen. New Work ist eine gesellschaftliche Veränderung, die beim Individuum beginnt. Organisationen spielen darin lediglich eine Rolle und nicht unbedingt die wichtigste.
Und zweitens hat echte New Work viel mit, auch wenn der Begriff genau so missbraucht wird wie New Work selbst, Haltung zu tun. Der Haltung und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden als Menschen und ihrer Lebensgestaltung.
5 Hinweise für wirksame Fachkräftegewinnung
Da meckern und kritisieren immer einfach ist, habe ich zum Abschluss noch fünf Hinweise aus meiner Praxis, ich mag den Begriff Tipps nicht mehr sonderlich, wie Fachkräftegewinnung gelingen kann. New Work kommt darin nur mittelbar vor:
- Sorgt für eine wertschätzende und respektvolle Arbeitsatmosphäre und Unternehmenskultur. Die muss nicht flexibel, selbst organisiert oder remote sein – es sei denn, eure Mitarbeitenden brauchen das. Das bringt mich zu Punkt zwei.
- Hört euren Mitarbeitenden zu und geht auf ihre Bedarfe ein. Wenn die eher in klassischen und scheinbar langweiligen Bereichen – beispielsweise Unterstützung bei Fahrtkosten oder Kinderbetreuung – statt angesagten Remote-Work-Lösungen liegen: Sei es drum, es geht um ihre Bedürfnisse, nicht euer Marketing.
- Lasst eure Mitarbeitenden über ihre Arbeit und ihre Motivation, für euch zu arbeiten, sprechen. Und zwar ehrlich, mit Kritik, Ecken und Kanten. Authentischer und glaubwürdiger wird Kommunikation nicht.
- Baut keine Scheinbilder auf, sondern steht zu euren Stärken und Schwächen, Vor- und Nachteilen. Ihr habt Home Office und erwartet, dass eure Mitarbeitenden sich selbst organisieren? Dann sagt das so. Ihr habt keine Home-Office-Regelung und plant die auch nicht? Steht dazu und erklärt das Warum. Scheinbilder führen nur zu Enttäuschung, Zeit- und Energieverschwendung.
- Wenn ihr das New-Work-Modell, Ansätze von Arbeit 4.0 – das ist ein ANDERES Modell als New Work (!) – oder andere Ansätze verfolgt, tut das bitte, weil ihr vom Nutzen und der Wirkung dieser Ansätze überzeugt seid. Tut es bitte nicht aus Marketinggründen. Dann geht es nämlich garantiert schief.
New Work – ernst gemeint – kann mittelbar zu Veränderungen führen, die die Fachkräftegewinnung begünstigen. Sie kann aber auch dazu führen, dass Mitarbeitende andere Prioritäten setzen und Erwerbsarbeit weniger Bedeutung bekommt als bisher. Wenn Organisationen deshalb die – aus meiner Sicht enorm wichtige – Entwicklung in Richtung New Work unterstützen wollen, sollten sie das aus Überzeugung und konsequent tun.
Als Mittel gegen den Fachkräftemangel ist New Work ungeeignet, dafür ist sie auch nicht gedacht. Und das ist gut so.
*Ich nutze für die allgemeine Ansprache meist eine neutrale oder weibliche Form. Meine männlichen Leser sind natürlich immer mit gemeint.