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Social Media Auszeit: Medienkompetenz statt abschalten
The Verge ist mit seinem viel beachteten Feature „I’m still here: back online after a year without the internet“ einer der prominentesten und aktuellsten Vertreter eines Trends, der sich bereits seit Jahren ausbreitet: Social Media Auszeiten. Immer mehr Redakteure und Blogger gehen für einige Zeit offline und schreiben dann – natürlich online (oh die Ironie) – über ihre Erfahrungen über das „Leben ohne Internet“.
Der Tenor all dieser Artikel ist erstaunlich ähnlich: Ohne Social Media, soziale Netzwerke und ständige Online-Kommunikation lebt es sich gut. Mit dieser „Erkenntnis“ – überrascht das wirklich irgendjemand??? – habe ich kein Problem, mit der Methode allerdings schon. Denn abschalten ist der falsche Weg. Medienkompetenzist gefragt.
Neben der wachsenden – und langsam ermüdenden – Zahl der „ich habe auch offline gelebt“ Beiträge ist aus meiner Sicht vor allem die Botschaft bedenklich. Denn bei genauerem Hinsehen ist die Aussage eindeutig: Social Media, soziale Netzwerke, ja, das Internet an sich ist – etwas überspitzt – ein reiner Zeitfresser und reduziert die Lebensqualität. Also sind Auszeiten unbedingt notwendig, um Abstand zu gewinnen und das Ganze dann wieder vernünftiger anzugehen.
Mag für manche Menschen der einzig sinnvolle Weg sein, okay. Doch eine Frage sei erlaubt: Was spricht dagegen, die individuelle Social Media Nutzung von Anfang an vernünftig, überlegt und im Maßen anzugehen? Warum wird hier das Abschalten propagiert, wo doch ein bewusster und achtsamer Umgang mit den Medien und Kommunikationswegen viel sinnvoller wäre? Kurz gesagt: Warum soziale Netzwerk implizit als „böse“ titulieren, wenn die Vermittlung von Medienkompetenz eine hervorragende Alternative ist?
Spiel mit Ängsten und hohe Hürden
Ein Teil der Antwort ist mir klar. Das Spiel mit Ängsten und negativen Assoziation treibt Leserzahlen in die Höhe und verkauft sich einfach besser. Radikale Aktionen sind interessanter als wohlüberlegte und ausgewogene Informationen. Dazu kommt, dass die Vermittlung von Medienkompetenz ein langsamer, mühsamer Prozess ist.
Viele Leser sind daran vielleicht gar nicht interessiert, sie suchen das Radikale, wollen unterhalten werden um dann die Patentlösung präsentiert zu bekommen. Mit diesem Prinzip spiele ich in manchen Artikeln auch, das tut jeder Blogger und Autor. Doch perspektivisch ist die Vermittlung von Medienkompetenz viel sinnvoller. Denn so lernen Leser und Zuschauer, ihr eigenes Kommunikationsverhalten zu reflektieren und die sozialen Netzwerke achtsam und bewusst zu nutzen.
Mein Plädoyer ist daher: Social Media Auszeiten können für einige wenige Menschen sinnvoll und notwendig sein. Für die meisten ist ein kompetenter Umgang mit den Medien jedoch der bessere Weg. Und damit dieser Artikel sich nicht auf ein Plädoyer beschränkt, habe ich zum Schluss noch einige Fragen, mit denen ihr Euer Kommunikationsverhalten reflektieren könnt:
- Wie viel Zeit verbringe ich in den sozialen Netzwerken?
- Was tue ich dort primär?
- Wofür nutze ich die sozialen Netzwerke?
- Was geben mit die sozialen Netzwerke?
- Reagiere ich sofort auf jede Benachrichtigung?
- Gibt es Zeiten, in denen ich mich nicht stören lasse?
- Wann habe ich das letzte Mal echte Ruhe erlebt?
- Fühle ich mich durch die Informationsflut manchmal gestresst?
- Habe ich das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich nicht online bin?
- Welchen Stellenwert räume ich sozialen Netzwerken in meinem Leben ein?
Kommentare zu diesem Artikel
Hallo,
da stimme ich hundertprozentig zu! Danke für den Artikel.
Viele Grüße
Ellen
Danke für die treffende Ausführung, die auch zum Nachdenken anregt!
Sonnige Grüße Silja
Danke!
Ich bin z.B. früh am Morgen im Web und ab dem späten Nachmittag eher Offline. Auch wenn dies nicht die optimalen Zeiten sind, es sind „meine Zeiten“. 😉
Und damit die für Dich richtigen, Gerhard. 🙂
Perfekt formuliert lieber Christian. Mich nerven die Artikel über die totale Social-Media-Abstinenz immer etwas. Ich hab immer das Gefühl einen erhobenen Zeigefinger gezeigt zu bekommen. Das hat natürlich auch einen Grund. – Punkt 1 – ich will nicht darauf verzichten – Punkt 2 – ich gehe sehr undiszipliniert mit meinen Zeitrecourcen um. Daher spricht mich Dein Artikel sehr an, denn ich versuche gerade einen Weg zu einer konstruktiven Zeiteinteilung und mehr Disziplin mit mir selbst zu finden.
Viele Grüße Heike
Hallo Heike,
danke dir für das Kompliment. Ja, manchmal bin ich auch genervt, weil ich es nicht besser hinbekomme. Grundsätzlich geht mir jedoch die radikale Haltung auf die Nerven, die ich einfach für schädlich halte.
Gruß,
Christian
[…] Müller beschreibt das sehr gut in seinem Artikel “Medienkompetenz statt abschalten”, heute geht es eben nicht darum, kein Internet zu nutzen, sondern, wie wir das Internet in unserem […]
[…] Social Media Auszeit: Medienkompetenz statt abschalten (aus dem Blog SOZIAL-PR von Christian Müller) […]
Entweder-oder ist selten eine gute Entscheidung. Sowohl-als-auch macht die Welt viel interessanter und bringt uns dazu, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen.
Danke, Dein Artikel bringt es genau auf den Punkt.
Ein schöner und wichtiger Beitrag, denn Medienkompetenz impliziert immer auch Bewusstsein. – Mir geht die ganze „Verteuflung“ mittlerweile auch ziemlich auf den Geist…