„Können wir das offene Internet zurückhaben?“ Diese Frage lese ich in Diskussionen auf Mastodon, in Blogs und Foren in letzter Zeit häufiger – und ich stelle sie auch selbst.
Die Antwort ist recht klar: Nein, das wirklich offene Internet ist erst durch Social-Media-Plattformen, dann durch geopolitische Angrenzungen und jetzt durch die Verbreitung generativer Künstlicher Intelligenz (KI) Geschichte.
Als Berufsoptimist folgt für mich dann logischerweise eine Anschlussfrage:
Was können wir tun, um zumindest Teile des Internets offen und die Kommunikation und Informationsvermittlung online menschenfreundlich zu gestalten?
Meine Antwort: Wir können unsere eigenen Plattformen stärken, bewusst auf offenen Plattformen und Protokolle setzen und uns auf das zurückbesinnen, was das Internet so großartig gemacht hat und macht: der Austausch von Mensch zu Mensch.
Warum eigene Plattformen?
Nein, das wird kein „früher war alles besser“ Beitrag. Mir sind die Vorteile, Chancen und Möglichkeiten, die uns Messenger und Social Media als Gesellschaft, und mir als Individuum ganz persönlich, geboten haben und bieten, völlig bewusst.
Das gilt auch für generative KI.
Doch bei beiden Technologien und Entwicklungen gilt: Sie bringen massive Risiken mit sich und haben bereits heute ganz konkrete negative Auswirkungen. Sie können beispielsweise soziale Spaltung verstärken und soziale Spannungen weiter anfeuern.
Und das ist kein Zufall. Denn mindestens ein Teil dieser Technologien ist dafür ausgelegt – auch wenn es den Entwicklerinnen und Entwicklern, die sie bauen, vielleicht gar nicht bewusst ist.
Klingt weit hergeholt? Dann nehmt euch bitte drei oder vier Minuten und schaut euch das folgende Video, eine Rede von Peter Thiel aus dem Jahr 2010, ab der ausgewählten Zeitmarke an.
Sosehr ich die Vorteile der uns heute zur Verfügung stehenden Technologien schätze: Sie sind ganz sicher nicht neutral. Wenn ihr mehr zu Peter Thiel wissen wollt, kann ich euch sowohl die ZDF Video-Doku als auch die Beiträge in der ARD Audiothek empfehlen.
Die aktuelle Online-Median- und Kommunikationslandschaft weist aus meiner Sicht drei grundlegende Probleme auf:
- Hohe Fragmentierung – Das Zusammenspiel aus zahlreichen, und in ihrer Zahl wachsenden, Social-Media, Messenger- und Kommunikationsplattformen und algorithmischer Filterung sorgt für eine stark fragmentierte und zerfaserte Kommunikationslandschaft. Gemeinsame Kommunikationsräume, in denen sich alle – oder zumindest sehr viele – Menschen aus den gleichen Informationsangeboten bedienen und miteinander ins Gespräch kommen, gibt es fast nicht mehr. Das leistet Spaltung und Entfremdung Vorschub.
- Wachsende Informationsmengen – Schon die schiere Menge an Informationen und Inhalten ist heute nicht mehr zu überschauen. Menschen werden auf zahlreichen Kanälen rund um die Uhr mit Informationen – und leider nicht nur korrekten faktenbasierten – überflutet. Das kann einerseits zu einer Überforderung, andererseits zu einer Abstumpfung führen, um nur zwei der Auswirkungen zu nennen.
- Priorisierung von Engagement – Fast alle Algorithmen und Plattformen verstärken, getrieben von der kommerziellen Logik der Aufmerksamkeitsökonomie, negative, reißerische oder schockierende Inhalte. Das Phänomen ist nicht neu, im Journalismus gilt seit jeher „If it bleeds, it leads“. Doch gepaart mit der Geschwindigkeit und den Skalierungseffekten der heutigen Plattformen kann es schnell dazu führen, dass die Welt der Menschen deutlich gefährlicher, zerrissener und negativer erscheint, als sie eigentlich ist.
Keine dieser Entwicklungen sind neu. Doch mit der wachsenden Verbreitung generativer KI-Dienste, die Inhalte aus dieser Kommunikationslandschaft zusammenfassen und bereitstellen, werden sie sich vermutlich noch verstärken.
Es ist Zeit für menschenfreundliche Alternativen. Eigene Plattformen können eine ruhigere, klarere und weniger kommerziell getriebene Alternative sein.
Was sind eigene Plattformen?
Unter „eigene Plattformen“ verstehe ich grundsätzliche Kommunikationskanäle und -protokolle, die der Kontrolle der Publizierenden unterliegen.
In der Praxis gehören für mich die folgenden sieben Beispiele dazu:
- Blogs und Websites – Es wird niemanden überraschen, dass ein eigenes Blog ganz oben auf meiner Liste der eigenen Plattformen steht. Ich blogge seit Jahren und habe meine ersten professionellen Online-Schritte als Blogger bei der Karrierebibel gemacht. Ich bin von der Wirkung und dem Nutzen von Blogs zutiefst überzeugt. Sie sind jedoch nicht völlig unabhängig von Algorithmen, auch wenn das manche Blog-Apologeten gerne behaupten. Denn die Algorithmen der Suchmaschinen haben natürlich Einfluss darauf, wie viele Menschen die Inhalte sehen. Und natürlich ist auch eine eigene Website eine wichtige eigene Plattform. Wer weiß, vielleicht bekommt die im Laufe der Zeit ja auch blogähnliche Züge. 😉
- Podcast – Auch ein Podcast kann eine hervorragende eigene Plattform sein – wenn es sich um einen echten Podcast handelt. Mit „echt“ meine ich vor allem ein Kriterium: Die Audio-Beiträge sind frei via RSS abonnierbar und nicht an eine kommerzielle Plattform gebunden. Ein beispielsweise bei Podigee gehosteter Podcast erfüllt diese Kriterien. Mein Sozialgespräch Podcast ist beispielsweise dort beheimatet. Eine nur auf Spotify oder Amazon veröffentlichte Audio-Sendung kann spannend und interessant sein, ist im Sinne dieses Artikels jedoch keine eigene Plattform und kein echter Podcast, da hier nicht die publizierenden, sondern die kommerziellen Plattformen das letzte Wort haben.
- E-Mail-Newsletter – Es mag altmodisch klingen, doch E-Mail hat – auch weil es sich um weitgehend standardisierte Protokolle handelt – viele neue Kommunikationskanäle und Abgesänge überlebt. Ein gut gemachter E-Mail-Newsletter – entweder selbst oder bei einem professionellen Anbieter gehostet – kann ebenfalls eine wunderbare eigene Kommunikationsplattform sein. Werbehinweis in eigener Sache: Mein Newsletter „Digital braucht sozial“ freut sich über neue Leserinnen und Leser.
- Messenger-Newsletter – Bevor ihr die Kommentare im Sinne von „Messenger sind keine offenen Plattformen“ fertig schreibt, lasst mich diesen Punkt bitte kurz erklären. Wenn ich hier „Messenger“ schreibe, denke ich weder an WhatsApp oder Telegramm noch an die von mir geschätzten Dienste Signal und Threema. Wenn es sich wirklich um eine eigene Plattform handeln soll, sprechen wir hier von einem Messenger-Newsletter, der auf dem Matrix-Protokoll aufsetzt und damit der Kontrolle der Autorinnen und Autoren unterliegt. Sicher können die Inhalte dieses Newsletters dann technisch an andere Messenger weitergegeben und nutzerfreundlich verbreitet werden. Doch die Basis muss auf dem Matrix-Protokoll aufgesetzt werden.
- Fediverse-Dienste – Mastodon ist für mich inzwischen der Social-Media-Kanal, den ich am liebsten und aktivsten nutze. Wenn ihr vernetzen wollt, schaut gerne auf meinem Mastodon-Profil vorbei. Als eigene Plattform gelten aus meiner Sicht jedoch alle Dienste, die dem Fediverse zugehörig sind und das zugrundeliegende Protokoll nutzen. Neben der YouTube-Alternative Peertube gibt es da noch zahlreiche weitere Dienste. Der hervorragende Fediverse-Artikel bei digitalcourage erleichtert den Einstieg und Überblick enorm. Das unten eingebettete Video erklärt das Fediverse ebenfalls wunderbar.
- Foren – Nein, ich meine nicht reddit, sondern wirklich Foren – ganz klassisch oder altmodisch, je nach Betrachtung. Unternehmen wie Framework, Fairphone oder Shiftphone betreiben eigene Foren, um ihren Kundinnen und Kunden – und oft genug Fans – einen geschützten Kommunikationsraum zu bieten. Und das Bloggerkonferenz Forum zeigt, dass das Format auch für neue Kommunikationsräume und online affine Zielgruppen funktionieren kann.
Wie stärken wir unsere Plattformen?
Wenn das bisher für euch sinnvoll klingt und ihr eure eigenen Plattformen aufbauen oder stärken wollt, empfehle ich euch die folgenden fünf Schritte:
- Strategische und kulturelle Voraussetzungen schaffen – Eigene Plattformen werden nur relevanter, wenn sie aktiv genutzt werden. Das bedeutet: Es müssen relevante Inhalte erstellt und die Plattformen regelmäßig gepflegt werden. Dafür sind Ressourcen nötig, siehe Punkt zwei und drei. Zuerst jedoch die grundlegende Entscheidung und die Bereitschaft, Prioritäten neu zu setzen. Wenn ihr bisher primär auf Social Media kommuniziert, wird die Stärkung eigener Plattform euch langfristig zwar resilienter und eure Kommunikation wirksamer machen, doch kurzfristig schwächt diese Verlagerung erstmal die Wirkung eurer bestehenden Kommunikation. Das muss allen klar sein und mitgetragen werden.
- Technisch einarbeiten, Ressourcen frei machen – Der Betrieb eigener Plattformen ist in der Regel mit mehr technischem Aufwand und Know-how verbunden als die Nutzung der weit verbreiteten kommerziellen Plattformen und Kanäle. Natürlich machen es Content-Management-Systeme wie WordPress, Podcast-Hoster wie Podigee und andere Anbieter heute einfacher denn je, eigene Plattformen zu starten. Dennoch muss sowohl die Bereitschaft zur Einarbeitung als auch die Zeit dafür vorhanden sein.
- Content-Formate umstellen und Kommunikation anpassen – Eine Neupriorisierung, die eigene Plattformen in den Fokus stellt, ist fast immer auch mit der Veränderung eurer Kommunikationsformate verbunden. Blogs und Podcasts verlangen nach längeren Inhalten als die kommerziellen Social-Media-Plattformen. Die Algorithmen von Suchmaschinen und Podcast-Plattformen funktionieren anders als die von Social-Media-Kanälen. Auch diese Veränderung braucht Lernzeit und Einarbeitung.
- Als dauerhaften Prozess sehen, nicht als temporäres Projekt. – Wenn ihr eigene Plattformen aufbauen und stärken wollt, geht ihr damit eine dauerhafte oder zumindest langfristige Verpflichtung ein. Seht den neuen Fokus als dauerhaften Prozess, nicht als Projekt mit Ziel- und Enddatum. Wer sein Blog wirklich stärken will, muss dran bleiben. Nicht immer mit der höchsten Frequenz, ab doch ausdauernd.
- Das Wichtigste: Legt los und lernt im Tun! – Die ersten vier genannten Aspekte führen in machen sozialen Organisationen und NGO zu berühmt berüchtigten „paralysis by analysis“. Die strategische Vorbereitung und Planung, die Evaluation der möglichen eigenen Plattformen und die Gestaltung neuer Formate nimmt so viel Zeit, dass die Plattform selbst nie aufgebaut und die Kommunikation nie begonnen wird.
Meine Bitte: Trefft die Entscheidung für eigene Plattformen, macht euch einen Plan und dann legt los! Im Tun werdet ihr viel mehr lernen als bei der theoretischen Vorbereitung. Einen Stein ins Rollen zu bringen ist schwer.
Die Richtung eines einmal rollenden Steines zu ändern ist um ein Vielfaches einfacher.
Eigene Plattformen – weil wir menschenfreundliche Kommunikation brauchen
Die aktuell weit verbreiteten Social-Media-Kanäle werden sich aus meiner Sicht in den nächsten Jahren durch den starken Einsatz generativer KI verändern. Auch Websites und Blogs werden im Zuge dieser Entwicklung der Bedeutungslosigkeit zugeschrieben.
Doch ich bin davon überzeugt, dass es immer Menschen geben wird, die Inhalte von Menschen lesen wollen. Menschen, denen die KI generierte Zusammenfassung nicht reichen wird. Menschen, die entscheiden wollen, was sie sehen und sich nicht durchleuchten oder von Algorithmen vorsortierte Inhalte zeigen lassen wollen.
Wie groß dieser Anteil sein wird? Ich habe keine Ahnung. Doch schon heute wird klar: KI ist in der strukturierten Aufbereitung von Informationen sehr gut, beim Verfassen komplexer Texte jedoch oft überfordert.
Tiefgehende Gedanken, empathische Standpunkte oder gar kreative Texte sind für aktuelle KI-Modelle ohnehin unerreichbar. Vielleicht noch, vielleicht dauerhaft.
Ich setze für meinen Teil auf menschenfreundliche Kommunikation und eigene Plattformen. Einfach weil Menschen es verdienen, wie Menschen und nicht wie Produkt behandelt zu werden.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr den Weg mit euren eigenen Plattformen mitgeht.
Link- und Leseempfehlungen
- Mein Blog im Fediverse wunderbare Anleitung von Annette Schwindt
- Join the Fedviverse – guter Startpunkt, auch auf deutsch
- Meine Vision für ein menschenfreundliches Internet
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