Je mehr ich ChatGPT, Claude, Perplexity, NotebookLM, Gamma.app, Le Chat von Mistral und andere generative KI-Tools schule, desto klarer wird mir ein Faktor:
Wir müssen uns dringend unabhängiger von den aktuell kommerziell verfügbaren KI-Tools machen!
Ja, digitale Souveränität ist gerade ein viel gebrauchtes Buzzword, doch das macht das Thema nicht weniger wichtig oder sinnvoll.
Ein Werkzeug, das zumindest für ein wenig mehr Unabhängigkeit von konkreten KI-Tools schafft, sind Kontext-Dokumente.
Kontext-Dokumente: KI-Personalisierung ohne Systemfunktionen
Die Idee der Kontext-Dokumente vermittle ich seit Anfang 2024 in meinen KI-Seminaren. Begonnen hat sie als Workaround.
ChatGPT hat seit langem die Möglichkeit, in den Einstellungen den „eigenen“ KI-Assistenten zu personalisieren und dem System Informationen zur Person und zum gewünschten Verhalten zu geben.
Viele ChatGPT-Nutzer:innen kannten die Funktion auch Anfang 2025 noch nicht. Dabei kann eine bewusst gestaltete Personalisierung wirklich viel Zeit und viele Zeichen bei Prompts sparen.
Dazu kommt, dass ChatGPT im bezahlten Plus-Account zwar Custom-GPT – also für spezielle Anwendungsfälle oder Themen optimierte Assistenten – anbietet, Nutzer:innen im kostenlosen Plan die aber nicht selbst erstellen können.
Kontext-Dokumente waren zu Beginn mein Weg, diese Funktionen systemunabhängig ein wenig zu imitieren.
Heute sind sie für mich unverzichtbarer Bestandteil einer professionellen, strukturierten und vor allem verantwortungsvollen KI-Nutzung.
Und ja, ich habe die Idee für mich und meine Arbeit selbst entwickelt. Doch das bedeutet nicht, dass ich der einzige wäre, der einen solchen Ansatz fährt. Bei weitem nicht.
Personal Kontext Manager als Framework für Kontext-Dokumente
Mir ist schon länger klar, dass andere Kolleg:innen ähnliche Ansätze, wenn auch mit anderem Namen, nutzen. Das ist wenig überraschend, denn das Werkzeug der Kontext-Dokumente ist schlicht ein logischer Schritt, wenn Menschen tiefer in generative KI einsteigen.
Den bisher besten Artikel zum Thema, konkret im Kontext Lernen, habe ich heute Morgen gelesen. Er stammt von der geschätzten Nele Hirsch und ist auf ihrem Blog ebildungslabor mit dem Titel „Lernkontext-Dateien bei der Nutzung von KI-Sprachmodellen“.
Ihre Lernkontext-Dateien sind im Grunde das, was ich Kontext-Dokumente nenne. Nele Hirsch beschreibt sie so:
Übertragen auf das Lernen bedeutet die Idee eines Personal Context Manager, dass ich meinen Lernkontext zu Beginn eines Chats deutlich mache. Ich kann also zum Beispiel inhaltliche Herausforderungen teilen, die ich angehen möchte oder schreiben, was ich bereits erfolgreich gelernt habe und woran ich anschließen will. Vor allem kann ich aber auch deutlich machen, welche Lernwerkzeuge ich nutze, welche Form von Feedback für mich besonders hilfreich ist und wie die Chats für mich besonders hilfreich sein können.
Ihre Ausführungen zu den pädagogischen Herausforderungen und Chancen von Lernkontext-Dateien sind – wie der gesamte Artikel – lesenswert.
Mich haben vor allem zwei Aspekte im Artikel dazu angeregt, diesen Artikel hier zu schreiben.
Der eine ist das Konzept des Personal Context Managers, das Nele Hirsch am Beispiel des hier verlinkten Github-Verzeichnisses deutlich macht.
Für mich ist die Idee des Personal-Kontext-Managers das Framework, das den strukturellen Rahmen für das Werkzeug der Kontext-Dokumente liefert.
Für die professionelle, strukturierte und verantwortungsvolle Nutzung von KI definiere ich den Personal Context Manager so:
Ein System oder eine Struktur von Dokumenten und Daten, mit denen ich Hintergrund- und Kontextinformationen sammle, die für meine Arbeit im Allgemeinen und für spezielle Aufgaben, Themen und Anwendungsfälle relevant sind. Diese Dokumente und Daten werden regelmäßig und strukturiert aktualisiert und in Form von Kontext-Dokumenten als Input für die Arbeit mit generativen KI-Systemen genutzt.
Kontext-Dokumente als Reflexionsimpuls
Bezogen auf die Lernkontext-Dateien weist Nele Hirsch auch darauf hin, dass deren Erstellung für Menschen, die bisher wenig selbstbestimmt gelernt haben, sehr anspruchsvoll sein kann.
Was aus pädagogischer Sicht absolut zutrifft, spiegelt sich auch in meiner Arbeit mit Kontext-Dokumenten wider – und ist der zweite Aspekt, der mich bei Nele Hirschs Artikel angesprochen hat.
Denn um gute Kontext-Dokumente zu erstellen, sind viel (Selbst)Reflexion, Wissen über Organisation, Team, Arbeit, Aufgabe und vor allem das Ziel oder die gewünschte Wirkung nötig!
Ein wirksames und sinnvolles Kontext-Dokument muss mindestens die folgenden sieben Fragen beantworten:
- Wer bin ich und in welcher Rolle arbeite ich?
- Welche Hintergrundinformationen zu meiner Organisation und Situation sind wichtig?
- Welche Aufgabe soll konkret erfüllt werden?
- Gibt es bevorzugte oder festgelegte Wege und Verhaltensweisen, um diese Aufgabe zu erfüllen?
- Gibt es andere zwingende Vorgaben oder Ausschlusskriterien für den Weg zum Ziel?
- Wie sieht das Ziel konkret aus?
- Welche Qualitätsansprüche und -kriterien stelle ich?
Jede einzelne dieser Fragen kann bei der ersten Beantwortung mit richtig viel Arbeit verbunden sein!
Gerade wegen dieser Arbeit lohnt sich der Einsatz jedoch. Denn wer gute Kontext-Dokumente verfasst, weiß auch, was er oder sie erreichen will, wie die Ziele aussehen, und kann unklare Aspekte klären, bevor sie zu einem Problem werden.
Ganz nebenbei werden KI-Nutzer:innen mit Kontext-Dokumenten unabhängiger von einzelnen KI-Tools. Denn wer den relevanten Kontext mit eigenen Dokumenten liefert, ist nicht auf die Systemfunktionen angewiesen.
Die wertvollen Kontext-Daten sind dann nicht bei OpenAI, Anthropic oder anderen eingesperrt, sondern unabhängig nutzbar. Sicher nicht der einzige, aber doch ein wichtiger Schritt zu mehr KI-Souveränität.
Danke an Nele Hirsch für den hervorragenden Artikel und Impuls!
P.S.: Interessiert euch, wie ich meine Kontext-Dokumente konkret aufbaue und einsetze, sowohl für mich selbst als auch für Teams? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen.
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