Barcamp Nachhaltige Zukunft – der Titel der Veranstaltung am 25.08.2023 in Siegburg klang für mich beim ersten Lesen vielversprechend, lies aber auch meine Alarmglocken klingeln. Denn Nachhaltigkeit wird inflationär und zu oft nur als Marketing genutzt. In Siegburg war das glücklicherweise anders.
Mein Skepsis hatte sich schon im Vorfeld des Barcamps zerstreut, als klar war, dass die Kolleg*innen von bonn.digital das Event organisieren.
Einerseits schätze ich die Barcamp Organisation des Teams sehr, andererseits weiß ich, dass sie darauf achten wichtige Themen wie Nachhhaltigkeit nicht für Greenwashing zu missbrauchen.
Bei der Vorstellungsrunde – ich schätze, es waren um die 50 Teilnehmende – wurde dann klar, dass sich alle Sessions um die nachhaltige Zukunft und ihrer Gestaltung drehen würden. Es gab Sessions zu nachhaltiger Digitalisierung, den KI Einsatz für den Umweltschutz, Ideen um nachhaltiger leben und wirtschaften zu können und den lokalen Zusammenhalt zu stärken.
Natürlich waren auch Sessions zur Circular Economy oder die Region Bonn Rheinsieg vertreten.
Für mich war vor allem die Vielfalt der Teilnehmenden beim Barcamp Nachhaltige Zukunft – #BNZ – spannend. Von Selbstständigen über Unternehmer*innen bis zu Angestellten im öffentlichen Dienst und interessierten Studierenden waren verschiedenste Meschen vertreten.
KI und Roboter für mehr Umweltschutz in der Müllentsorgung
Die erste Session auf meiner Liste war „Mit KI zu mehr Umweltschutz in einer kommunalen MVA“, MVA steht dabei für Müllverbrennungsanlage. Saskia Kutsche, ihres Zeichens Bereichsleitung Unternehmensentwicklung, von der MVA Bonn stellt in der Session einen ganz besonderen „Kollegen“ des Unternehmens vor: Andiarbeit, ein Roboter von Boston Dynamics, der mithilfe von KI – nach der aktuellen Lernphase – selbstständig Kontrollgänge und Analysen der Analge vornehmen soll.
Die Anschaffung von Andiarbeit ist das Engagement des MVA Bonn im Rahmen der Initiative „bonNova“, bei der es um eine möglichst umweltfreundliche Abfallverwertung der Zukunft geht. Also genau das Thema des Barcamps: Nachhaltige Zukunft.
Neben den Tricks des Roboters – einige Eindrücke findet Ihr im Impressionsvideo oben – war für mich vor allem spannend, wie das Unternehmen mit der Einführung des Roboters umgeht und wie das Gerät zur Nachhaltigkeit beiträgt.
Drei Punkte sind für mich hängen geblieben:
- Bei der Einführung war die Belegschaft beteiligt. Der Namen von Andiearbeit ist beispielsweise das Ergebnis einer Abstimmung der Mitarbeitenden.
- Der Roboter braucht zu Beginn noch viel Lernhilfe und Unterstützung von Menschen. Wie jede KI muss auch diese hier erstmal trainiert werden.
- Da der Robotr über Frequenz-Analyse von Tönen erkennen kann, ob Maschinen rund laufen oder ob es Verschleißerscheinungen gibt, können Wartungsvorgänge präventiv vorgenommen werden. So laufen die Maschinen effizienter und die Nachhaltigkeit in Sachen Energieverbauche und Emissionnen wird verbessert.
Fun Fact: Auch wenn der Roboter teuer ist wären Sensoren an allen Maschinen deutlich teurer. Hätte ich nicht gedacht.
Vernetzung für eine enkelfähige Zukunft
Wenn wir nachhaltiger Leben wollen, müssen wir auch etwas an unserer Art zu Wirtschaften ändern. Der Begriff der enkelfähigen Zukunft fällt in diesem Zusammenhang immer wieder.
Georg Staebner vom Podcast „Helden und Visionäre“ und dem Projekt changeius(Transparenzhinweis: Hier unterstüze ich hin und wieder ehrenamtlich), stellte in seiner Session die Frage, wie wir Wirtschaftsunternehmen und Impact-Organisationen für eine enkelfähige Zukunft zusammenbringen können.
Um gleich Erwartungsmanagement zu betreiben: Die perfekte Lösung oder Patentantwort haben wir in der Session nicht gefunden.
Die Diskussionspunkte, die mir im Gedächtnis geblieben sind:
- Es braucht noch mehr Begegnungs- und Vernetzungsgelegenheiten für Wirtschaftsunternehmen und Impact-Organisationen.
- Nachhaltigkeit muss ein normaler Bestandteil aller IHK-Veranstaltungen und Co. werden und darf nichts Besonderes mehr sein.
- Immer mehr Menschen wollen auch in den Unternehmen, in denen sie arbeiten, etwas bewirken und die Entwicklung hin zu nachhaltigerem wirtschaften unterstützen.
- Sie brauchen dafür jedoch auch Support und Unterstützung von „außen“, also beispielsweise den Kontakt zu Impact-Organisationen und andere Aktiven, die auf das gleiche Ziel hin arbeiten wie sie.
Zum letztgenannten Punkt empfehle ich gerne das schon etwas ältere Buch „Rocking the Boat: How Tempered Radicals Effect Change Without Making Trouble“ von Debra E. Meyerson, das der geschätzte Hannes Jähnert bei sich im Blog schonmal besprochen hat.
Für mich ist es DAS Handbuch für Menschen, die Veränderung in Organisationen bewirken und das nicht mit einem offensiven Kampf gegen das jeweilige System tun wollen. Vielleicht sollte ich es mal in einem eigenen Artikel hier im Blog rezensieren. Was meint Ihr?
Das nachhaltige Entwicklungsniveau: Ein Framework für Selbstständige und Kleinunternehmen
Mein dritte und letzte Session des Tages, zwischendrin habe ich das vegetarische und wirklich leckere Catering genossen und tolle Gespräche geführt, hielt ich dann selbst.
Hier ging es um unser Konzept des nachhaltigen Entwicklungsniveaus. Der Sessiontitel lautete „Das nachhaltige Entwicklungsniveau: Kennt Ihr Eures?“
Eine der ersten Rückmeldungen aus der Runde: Unter dem Begriff lässt sich alles und nichts verstehen. Das ist korrekt, daher grenze ich es hier ein wenig ein.
Das nachhaltige Entwicklungsniveau ist ein Framework oder Denkmodell für Selbstständige und Kleinunternehmen. Drei Fragen stehen im Mittelpunkt des Modells:
- Wie definieren wir „genug“?
- Was wollen wir bewirken?
- Wie wollen wir uns entwickeln?
Jede diese Fragen hat drei zentrale Facetten.
Die erste Frage – „Wie definieren wir „genug“?“ – umfasst die folgenden Aspekte:
- Was wollen wir, also die Menschen, die das Kleinunternehmen ausmachen oder wir als Selbstständige, verdienen und mitnehmen?
- Wieviel Umsatz, Marge, Gewinn und Rücklagen brauchen wir als Unternehmen?
- Welches Level an Qualität und Service wollen wir unseren Kund*innen bieten?
Die zweite Frage – „Was wollen wir bewirken?“ – setzt sich aus folgenden Facetten zusammen:
- Welchen sozialen, ökologischen und ökonomischen Impact wollen wir als Unternehmen erzielen?
- Welche Ziele und Wirkung will jede*r Einzelne im Unternehmen erreichen oder bewirken?
- Was wollen wir für welche Kund*innen bewirken?
Die dritte Frage – „Wie wollen wir uns entwickeln?“ – setzt sich aus den drei folgenden Fragen zusammen:
- In welche Themen- und Aufgabenbereich will sich welche Person im Unternehmen entwickeln?
- Welche Geschäfts- oder Aufgabenbereiche wollen wir neu erschließen oder vertiefen und ausbauen?
- Wie wollen wir unser Geschäftsmodell – sowohl Dienstleistung und Produkt aber auch Arbeitszeitmodelle und andere Aspekte betrachtend – entwickeln und verändern?
Bei all diesen Fragen hat das Modell des nachhaltigen Entwicklungsniveaus drei Grundsätze:
- Selbstständige und Unternehmen sollten danach streben, der Gesellschaft, den Menschen in ihr und dem Planeten so wenig zu schaden wie möglich und idealerweise möglichst positiv wirken. Respekt für Mensch und Umwelt sollte richtungsweisend sein.
- Wachstum ist kein Selbstzweck sondern nur Mittel zum Zweck. Ein Ziel sollte daher nie auf Wachstum ausgerichtet sein. Wenn Wachstum für einen Entwicklungsschritt sinnvoll und nötig ist, ist es okay. Generell gilt jedoch: Ist das nachhaltige Entwicklungsniveau erreicht, ist Wachstum eher nach innen gerichtet – Vertiefung, Verbesserung, Optimierung, Reduktion der Arbeitszeit etc. – und nicht expansiv gedacht und generell nicht nötig.
- Das nachhaltige Entwicklungsniveau ist völlig individuell und lebendig. Für jede und jeden wird es anders aussehen. Und es muss an sich verändernde Rahmenbedingungen – Inflation, neue Lebensumstände usw. – angepasst werden. Eine Anpassung nach oben muss jedoch eine Reaktion auf neue Anforderungen sein und nicht der klassischen Wachstumslogik folgen.
Das ist das nachhaltige Entwicklungsniveau in Kürze. Das Modell haben wir seit einiger Zeit entwickelt und wenden es für uns an. Auch einige befreundete Selbsständige und kleine Teams finden es spannend. Das Feedback in der Session beim Barcamp Nachhaltige Zukunft – danke allen die dabei waren – war sehr hilfreich und konstruktiv.
Für uns bedeutet das: Wir schrauben weiter an dem Framework und werden es in einiger Zeit in einem eigenen Blogartikel ausführlich beschreiben und vielleicht als Beratungs- oder Coaching-Modell anbieten. Lasst uns gerne in den Kommentaren oder per Direktnachricht wissen, wenn Euch das interessieren würde.
Barcamp Nachhaltige Zukunft: Ein tolles Event, 2024 gerne wieder
Der Titel dieses Artikels – Das Barcamp Nachhaltige Zukunft 2023 – lässt schon erahnen, dass ich mir eine Fortsetzung in 2024 wünsche. Das Barcamp hat mir viel Spaß gemacht, ich habe tolle neue Menschen kennegelernt, wertvolle Gespräche geführt und viel Inspiration mitgenommen.
Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle allen Veranstalter*innen und Partner*innen für die hervorragende Organisation.
Was mich besonders gefreut hat: Das Barcamp Nachaltige Zukunft ist auch auf Mastodon vertreten. Finde ich super und dürfen gerne mehr Events und Organisationen nachmachen.
Wart ihr vor Ort oder habt ihr durch den Bericht Lust auf das Barcamp Nachhaltige Zukunft 2024 – sollte es denn stattfinden – bekommen?
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